Studenten der Theologie geht es besser als allen anderen Geisteswissenschaftlern: Die Kurse sind klein, die Fakultäten und Professoren zahlreich. Wie kann das sein? Er ist erst 25, aber ein Student der alten Schule. Julian-Christopher Marx hat sich Zeit gelassen und in Leipzig studiert, in Basel und an der Humboldt-Universität in Berlin; gerade verbringt er seine Tage in der Bibliothek und feilt an seiner Masterarbeit über das Verhältnis von moderner Gesellschaft und Individuum bei
Ernst Troeltsch und
Charles Taylor. Ab und zu, wenn er eine Pause von den großen Denkern braucht, hockt er sich ins Foyer der
Theologischen Fakultät in Berlin-Mitte, blickt auf die Touristenströme vor den Panoramafenstern und nimmt einen Schluck aus seiner Club-Mate-Flasche. »Theologie ist genau das richtige Fach für mich«, sagt er. Nein, nicht um Pfarrer zu werden. »Die Beschäftigung mit dem Menschsein im Werden und damit den Grundlagen von Gesellschaft und Wissenschaft an sich, das fasziniert mich, das findet man sonst in keinem Fach. Vielleicht noch am ehesten in der Philosophie.« Er hält kurz inne, schüttelt dann den Kopf. »Nein, auch da nicht. Die Theologie ist einzigartig.«
Einzigartig ist die
Theologie auch, wenn es um die sogenannten Betreuungsrelationen geht. In keinem anderen Fach kommen so wenige Studenten auf so viele Professoren. Insgesamt studierten 2010 deutschlandweit knapp 17.000 junge Menschen evangelische oder katholische Theologie im Hauptfach. Betreut wurden sie von 666 Professoren. Zum Vergleich: Die Germanistik hat 640 Professoren. Und 80.377 Hauptfachstudenten. Wie kann das sein?
Die Antwort führt zum Teil weit zurück in die Kirchengeschichte. Ins Jahr 1924 etwa, als zwischen dem Freistaat Bayern und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche ein Staatskirchenvertrag geschlossen wurde. Oder ins Jahr 1933, als der Staat der katholischen Kirche im »Reichskonkordat« die Zukunft der Theologischen Fakultäten garantierte. Alle bis heute geltenden Kirchenverträge haben gemeinsam: Der Staat zahlt die Professoren, die Kirche darf mitentscheiden, wer die Lehrstühle besetzt, und wenn es ans Sparen geht, kann die Kirche sich querstellen.
Lange Zeit hat die Extrawurst, die der Staat den beiden christlichen Kirchen da seit Jahrzehnten serviert, nicht wirklich jemanden gestört. Ab und zu gab es ein bisschen Medienrummel, wenn wie bei dem vom Glauben abgefallenen Göttinger Theologieprofessor Gerd Lüdemann die Kirche seine Absetzung verlangte. Jetzt aber nimmt angesichts von übervollen Hörsälen in anderen Fächern der Zorn zu über die frommen Kollegen, die mancherorts die Schäfchen in ihren Seminaren an einer Hand abzählen können. Eine »Abschaffung aller Privilegien für die Theologie« fordert etwa der Studentenverband fzs.
70 Leute in einem Seminar seien bei den Theologen »exorbitant viele« Wie gut es ihm geht, realisierte Julian-Christopher Marx, als er sich in Leipzig parallel bei den Politikwissenschaftlern einschrieb. Da saßen plötzlich 50 Leute im Seminar und 250 in einer Vorlesung. »Bei den Theologen war es exorbitant viel, wenn 100 zusammenkamen.«
Jens Schröter sitzt ein paar Etagen über dem Foyer mit den Panoramafenstern, und sein Ausblick ist auch ganz schön. Die Spree mit den Ausflugsdampfern im Vordergrund, dahinter die Kulisse der Museumsinsel. Doch Schröter, Dekan der Theologischen Fakultät, ist in seinen Gedanken gerade ganz woanders. Er überlegt, wie er es am besten sagen soll. Dass die Kritiker der Theologen ja irgendwie auch recht haben. Er entscheidet sich für die diplomatische Variante. »Sich einfach nur zurücklehnen und auf dem Status quo zu beharren, das wird der Theologie nicht bekommen.«
Man muss dazu wissen, dass der 51-jährige Neutestament-Experte Schröter bis vergangenes Jahr auch Vorsitzender des Evangelisch-Theologischen Fakultätentages war, der Vereinigung der 19 (!) Fakultäten, die es deutschlandweit gibt. Darunter sind Standorte wie die Humboldt-Uni, die für Theologie-Verhältnisse fast aus allen Nähten platzen, und andere, wie Greifswald oder Rostock, die allein kaum noch lebensfähig sind. Doch die Kirchenoberen beharren auf ihrem Existenzrecht – und können es, weil der Staat keine Handhabe hat. Früher lautete die Formel: Jede Landeskirche bekommt ihre eigene theologische Fakultät. Inzwischen hat die frisch vereinigte evangelische Nordkirche, zu der Greifswald und Rostock gehören, sogar vier davon – während andere Fächer von der Schließung bedroht sind.
Die Erklärungen, die für diese Schieflage bemüht werden, sind bei Katholiken wie Protestanten dieselben. Erstens, sagt Schröter, habe man schon erheblich Stellen eingespart, während die Zahl der Studenten insgesamt nach einem zwischenzeitlichen Tief wieder zunehme; zweitens hätten sich die Fakultäten längst gewandelt und vor allem für all jene Studenten geöffnet, die das Fach spannend finden, deshalb aber noch lange nicht Pfarrer oder Priester werden wollten. Und drittens seien die Theologien unabhängig von der Zahl der Hauptfachstudenten unheimlich wertvoll für die Gesellschaft.
Gerhard Krieger ist Vorsitzender des
Katholisch-Theologischen Fakultätentages. Er sagt: »Das Fach, mit dem die Theologie am ehesten vergleichbar ist, ist die Philosophie.« Und die habe ja auch niedrige Studentenzahlen. Ihr großes Problem, das wissen auch Schröter, Krieger & Co., ist, dass diese Erklärungen nur teilweise tragen. So stimmt es zwar, dass es heute wieder so viele Theologiestudenten gibt wie 1980 (nach einem Durchhänger in den neunziger Jahren). Auch ist die Schar der Professoren an staatlichen katholischen Fakultäten seit 2006 tatsächlich um vier Prozent geschrumpft. Doch die Zahl der betreuungsintensiven Hauptfachstudenten war 1980 um die Hälfte höher, sodass die Betreuungsrelation immer noch ausgesprochen hoch ist. Auch taugt das Fach Philosophie nicht wirklich als Ausrede. Dessen Hauptfächlerzahl ist mit der in den Theologien fast identisch, doch müssen die Studenten mit der Hälfte an Professoren auskommen. Was zugegeben im Vergleich zu den Germanisten immer noch eine Traumquote ist.
»Die schwierige Situation in anderen Fächern darf und kann nicht der Maßstab sein«, sagt denn auch Joachim Ochel, der bei der Evangelischen Kirche in Deutschland für die Hochschulfragen zuständig ist. »Wir ordnen uns daher nicht dem staatlichen Sparwillen unter und liefern uns nicht fröhlich dem Kürzungswahnsinn aus.« So einen Satz muss man sich erst mal leisten können. Die Kirche kann es.
Richtig ist allerdings das mit dem besonderen Wert für die Gesellschaft. Der Wissenschaftsrat hat ihn den christlichen Theologien in einem ausführlichen Gutachten bestätigt und ihre Vorbildfunktion beim Aufbau von Islamisch-Theologischen Fakultäten gewürdigt. »Natürlich kann man das nicht eins zu eins auf andere Religionen übertragen, aber ein Erfolgsmodell ist das schon«, sagt Rainer Lange vom Wissenschaftsrat. Er sagt aber auch, dass weiter gespart werden müsse und dass sich viele Standorte neu ausrichten müssten, um weiterzubestehen. »Die Religion behält ihre gesellschaftliche Bedeutung, entsprechend sind auch die christlichen Theologien weiter wichtig – aber nicht mehr so sehr im Sinne von Priesterausbildung, sondern vielmehr für Nebenfachstudenten und die Ausbildung von Lehrern.«
Bei Einsparungen bleiben womöglich nur die Hardcore-Fächer übrig
Das sieht auch
Karl Gabriel so, Professor für Christliche Sozialwissenschaft in Münster. Allerdings befürchtet der katholische Theologe, dass bei Einsparungen ausgerechnet jene theologischen Disziplinen dran glauben müssen, die die Nebenfächler versorgen und die den Kontakt in die Gesellschaft hinein halten. Die Sozialethik zum Beispiel. Übrig blieben dann die theologischen Hardcore-Fächer. Im Auftrag der Bischofskonferenz hat Gabriel schon vor Jahren eine Bestandsaufnahme aller katholischen Lehrstühle in Deutschland gemacht. »Es gibt eine neue Generation von Bischöfen, die ein gespanntes Verhältnis zu theologischen Fakultäten haben.« Wenn die Theologie jemals die staatlichen Unis verlassen müsste, hielte Gabriel das für eine Katastrophe. »Das würde zu Fundamentalisierung und Abkapselung führen.«